LESEPROBEN

Die spannenden Leseproben

 

Wünsche euch viel Spass beim Lesen...

 

Aktuell: Die Sage von Thuslan (Sammelband)

 

 

 

 

 

2.

 

Es war Freitagmorgen an einem heißen Apriltag, viel zu warm für diese Jahreszeit. Vor ein paar Jahren hatte es zu dieser Zeit sogar mal geschneit. Nicht heute, heute war die Hitze beinahe unerträglich, und es war noch früh. Gerade hatte ich meine Arbeit als Paper Boy erledigt und bog mit meinem Fahrrad in die Helmer Straße ein, wo der kleine Zeitungsverlag war, der mich beschäftigte. Der Chef des Verlages war ein netter Mann Mitte Vierzig. Sein langer schwarzer Schnauzer, wie ihn die Mexikaner trugen, ließ ihn ein bisschen gefährlich aussehen, aber das täuschte.

Als ich mein altes rotes Fahrrad in den Ständer stellte und die Schwingtür anschließend aufstieß, kam mir der Drucker entgegen, der zum Frühstück in „Ellis gute Stube“, so hieß das kleine Lokal auf der anderen Seite, ging. „Morgen Steve!“, sprach er im Vorbeigehen. Ich erwiderte: “Morgen John!“ Ich schritt schnellen Fußes am Empfang vorbei, wo selten jemand saß und durchquerte den Redaktionsflur mit seinen etlichen Schreibtischen. Nicht alle waren besetzt. Aber selbst jetzt oder vielleicht gerade jetzt herrschte reges Treiben. Die alten Schreibmaschinen tickerten und ein lautes, schrilles Telefon war zu hören, dass jeder zu ignorieren schien. Die Jalousien im Büro des Chefs waren heruntergelassen, was allerlei bedeuten konnte, vom ruhig Sitzen und Zigarre rauchen bis zum Wutausbruch, wenn mal wieder eine falsche Meldung in der Zeitung gedruckt wurde. Ich klopfte an. „Herein!“, hieß es mit deutlicher Stimme. Als ich das Büro betrat, war Mister Lexton gerade dabei sich wieder eine Zigarre anzustecken. „Morgen Chef! Ich bin fertig mit dem Zeitungsverteilen.“ Er paffte ein paar schnelle Züge, bevor er zu reden anfing. „Was, schon? Es ist ja erst neun Uhr. Wirst auch immer schneller, oder hast du gar ein paar Häuser ausgelassen?“, fragte er forschend. Er wusste, dass ich das nie tat, und ich wusste, dass es Spaß war. „Gut, gut, hier dein Scheck für diese Woche, hast ihn dir verdient.“ „Danke“, sagte ich, und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Ich setzte mich wieder auf mein altes Fahrrad und fuhr zum Gemischtwarenhändler, der für mich auf meinen Wunsch hin ein neues Fahrrad aus der Stadt bestellt hatte. Heute ist der Tag der Tage, an dem ich mit dem Scheck das ganze Fahrrad bezahlen und mitnehmen konnte. Es war ein Mountainbike mit allem, was mein Herz höherschlagen ließ: 21-Gang, breite Alufelgen, Bremsen, die selbst beim Regen nicht ihre Stärke verlieren und einem robusten Rahmen. Als es ankam, durfte ich es Probe fahren. Dass ich nur einen Tag mit ihm fuhr, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Händler des Kleinladens sah mich anfahren und sagte, als er die Treppen des kleinen Vorbaus hinunterstieg: „Heute ist dein großer Tag, was Steve?“ „Ja, und ob, Mr. Milles“, antwortete ich freundlich. Ich übergab ihm den Scheck und folgte ihm ins Haus. Er schloss das Garagentor auf und da sah ich es. Es stand an der Seite gegen die Wand gelehnt. „Ich habe es heute Morgen beim Öffnen des Ladens schon von der Plane befreit. Wie ich dich kenne, willst du bestimmt nicht mehr warten“, sagte Mr. Milles. Er holte das Rad hervor und schob es in meine Richtung. Wie Recht er hatte, ich konnte nicht mehr warten. Ich bedankte mich, schwang mich auf das neue Fahrrad und trat in die Pedale. Ich blickte mich um, und rief während des Fahrens: „Das alte Fahrrad hole ich später ab, ja, Mr. Milles?“ Ohne auf Antwort zu warten fuhr ich fort. Ich denke ich habe deshalb so ein gutes Verhältnis zu den Leuten hier im Ort, weil sie mich alle vom Austragen her kennen.

Stolz fuhr ich durch die Straßen unseres Tausendseelenortes und machte beim Bäcker halt. Dort kaufte ich mir ein paar Teilchen und eine Flasche Kakao, nicht ohne durch das Schaufenster mein neues Fahrrad zu bewundern. Die Chromgabel glänzte gleißend in der Sonne. Nach dem Bezahlen fuhr ich weiter, bis ich an den Rand des Waldes mit dem Bachlauf kam, wo ich mich immer mit meinen Freunden traf, aber sie waren nicht da. Ich hätte ihnen gern mein Fahrrad vorgeführt. So setzte ich mich am Bachufer hin, zog die Schuhe aus und ließ die Füße im Klaren, kühlen Wasser baumeln. Das tat gut. Ich dachte so vor mich hin und mir kam die Idee mein neues Mountainbike zu testen, daher aß ich schnell mein Frühstück. Dann schwang ich mich wieder auf den Sattel und fuhr tiefer in den Wald. Als Teststrecke hatte ich den Hügel, der mitten in Wald steht ins Auge gefasst. Die Leute nennen ihn den Hexenberg. Manchmal erinnerte ich mich, wie mir meine Großmutter früher schaurige Geschichten über diesen Berg erzählte und ich hatte jedes Mal eine Gänsehaut. Aber jetzt war es Vormittag und ich saß auf meinem neuen Fahrrad, für das ich ein halbes Jahr gespart hatte. So verlor ich keinen weiteren Gedanken mehr daran. Der Hügel zeichnete sich als die ideale Teststrecke aus. Er war ungefähr zehn Meter hoch und wies einen Durchmesser von fünfzig Metern auf. Die Decke war fast vollständig von Wildgras bedeckt und ein Haufen Sträucher wuchs darauf, aber keine Bäume. So konnte ich gut drüber wegfahren. Die Seitenhänge, zur einen Seite hin flach abfallend, zur anderen Seite steiler und erdiger, waren für meinen Parcours bestens geeignet, schottiger Kies bedeckte den Wall. Von dort aus wollte ich heranfahren, dann um den Hügel herum und wieder die flache Steigung heraus, die trotz alledem eine gute Anstrengung abverlangt. Ich überquerte die Grasfläche und fuhr mit angezogener Hinter Bremse, die ich nur kurz aufzog, den Hang hinunter. Beim zweiten Mal ging es schon etwas besser. Ich fuhr die Runde einige Male. Als ich vor Erschöpfung eine Pause auf einem runden Stein einlegte, dessen Seiten mit Moos bedeckt waren, hörte ich Schritte. Ich fuhr mit dem Kopf herum und sah einen Mann den Weg heraufkommen. Bei näherer Betrachtung dachte ich an einen Farmer. Die Sachen, die er trug, waren irgendwie seltsam. Er trug kniehohe braune Lederstiefel und am rechten Bein hatte er ein Messer außen gebunden. Die Hose, die er anhatte, war schwarz und aus dickem Stoff. Seine braune Lederweste mit aufgesteckter Tasche war stark ausgebeult. Das weiße, langärmelige Hemd gab einen Teil der Brust frei. Wo ich den Gürtel vermutete, hing links eine kleine grüne Flasche mit langem Hals und kurzem dicken Bauch, etwas dahinter eine kleinere Tasche, auch aus Leder, aber schwarz. Doch was mich völlig stutzig machte, war das Schwert an seiner Seite. Mir wurde etwas mulmig.

Ich stand auf, als er noch ungefähr zehn Meter entfernt von mir war. Jetzt sah ich, wie groß er war, und das verstärkte meine sonderbare Meinung noch über ihn. Er blieb stehen, hob die rechte Hand und sprach: „Hallo“, mit nicht ganz so fester Stimme. „Sarem.“ „Sarem?“ wiederholte er, „Das Hügel von Sarem sein?“ Ich guckte ihn verdutzt an. Sarem, Sarem, ach so, nicht Sarem, sondern Salem meint er bestimmt. Er sprach wie die ersten Siedler, so kam mir das jedenfalls vor. Ich nickte gemächlich und redete ihn an. „Salem heißt es SALEM sprach ich langsam und deutlich. “ Jetzt guckte er verdutzt, was mich wiederum nervös machte. Er legte eine Hand ans Ohr und jetzt verstand ich, dass er mich nicht verstanden hatte. „Nicht Sarem?“ fragte er. „Doch Salem, hier Salem.“ Jetzt verstand er es und sagte mit dem Finger auf die Brust drückend: „Turk. Ich Turk.“ Ich machte dieselbe Geste bei mir und sagte: „Steve, ich heiße Steve.“

„Wo sind Steine?“, fragte er mich, während er den Kopf drehte und mit seinen dunklen Augen danach suchte. Ich zuckte die Achseln. Plötzlich ging er schnell auf mich zu. Ich erschrak und sprang zur Seite, aber er beachtet mich nicht, sondern den Stein, auf dem ich eben noch gesessen hatte. Er kniete sich vor mir nieder, musterte den Stein genau, fegte mit der Hand über die Sitzfläche und fuhr mit dem Finger in kleine Furchen, die zum Vorschein kamen. Es handelte sich um eine Schrift oder um Zeichen, die ich jedoch nicht genau erkennen konnte. Er holte ein Pergament, das schon vergilbt war, aus dem Brustausschnitt seines Hemdes, rollte es auf, glitt mit dem Finger von oben herab, bis es stehen blieb. Kurz danach steckte er das Pergament wieder weg und drehte sich zu mir um. „Wo sind Steine?“, fragte er schon wieder. Wenn sie alt waren, dachte ich mir, nach dem Stein zu urteilen, den ich sah, dann sind sie vielleicht unter der Grasdecke, die sich im Laufe der Jahre gebildet hatte. Also sagte ich: „Drunter, vielleicht unter dem Gras. Drunter!“, und deutete mit dem Finger auf den Boden. Ich bestätigte es, indem ich nickte und seitdem überlegte ich zweimal, bevor ich Turk zunicke, denn was nun geschah ging mir durch Mark und Bein.

Turk hob die Hände über seinen Kopf und klatschte sie zusammen. Im selben Augenblick sprach er die Worte: „Gurt kran kann ba.“ Sein Spruch oder besser gesagt die Laute waren kaum ausgesprochen, als der ganze Boden zu zittern begann. Es fühlte sich an wie ein mächtiges Erdbeben. Ein grollender dumpfer Laut ertönte und ich befahl meinen Beinen zu laufen. Laufen, laufen wollte ich, doch mein Körper gehorchte mir nicht. Das Gras, die Erde und allerlei Geröll flogen wie im Strudel durch die Luft. Was passiert hier? Was geschieht mit mir? Ich sackte immer tiefer, es kribbelte leicht unter meinen gelähmten Füßen, bis meine Schuhe wieder Boden berührten und im selben Moment verschwand die fliegende Erde spurlos. Nun stand ich auf einem Steinboden. - Alles hatte sich verändert.

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